Startups: „Unser Tool imitiert die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers.“ Nicolas Neubauer von Lhotse Analytics

Nicolas Neubauer ist CEO & Co-Gründer von Lhotse

Talk mit Nicolas Neubauer, CPO von Lhotse Analytics. Das junge Koblenzer Unternehmen hat eine Software für den strategischen Einkauf entwickelt, die durch Algorithmen und Business Intelligence Einsparpotenziale aufzeigt. Neubauer sagt: „Unser Tool imitiert die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers.“

Q// Wie bist du selbst ins Procurement und zu eurer Startup-Idee gekommen?

A// Wenn du meine Eltern fragen würdest, würden Sie Dir bestätigen, dass ich schon mit 8 Jahren sämtliche Kataloge, Artikel, Preise und Sachnummern für Mountainbike-Komponenten auswendig gekannt und sowohl technische als auch kommerzielle Benchmarks gemacht habe – das war wohl der Anfang. Während meines Studiums zum Wirtschaftsingenieur hat mich die Vorlesung „Beschaffung und Logistik“ stark interessiert. In meiner Heimatstadt Koblenz war damals ein Purchasing-Hub des amerikanischen Automobilzulieferers TRW Automotive (heute ZF). Hier habe ich während des Studiums als Werkstudent gestartet und mich innerhalb von ein paar Jahren zum Teamleiter „hochgearbeitet“.
Als global agierende Einkaufsmanager in der Automobilindustrie waren mein Geschäftspartner Daniel Demuth und ich oft frustriert darüber, wieviel Zeit unsere Teams jeden Tag mit Datenmanagement und Reporting verbrachten. Am Markt fanden wir viele Lösungen, um den operativen Einkauf zu digitalisieren – jedoch keine Lösung, um den strategischen Einkauf von Manufacturing Companies zu vereinfachen.
Die Komplexität steigt stetig, und trotzdem nutzt diese Industrie dieselben Tools wie vor 15 oder 20 Jahren. Das wollten wir ändern.

Q// Welcher „pain“ wird hier gelindert?

A// Die Einkäufer in globalen Industrieunternehmen arbeiten in einem sehr komplexen Umfeld. Sie managen im Schnitt 20 Millionen Euro Spend, 50+ globale Lieferanten, 20+ globale Werke und 500+ aktive Teilenummern. Nahezu jedes Ereignis am Weltmarkt wie zum Beispiel Inflation, Logistikkrisen wie das Thema Evergreen, Kapazitätskrisen wie aktuell Halbleiter, Force Majors wie Fluten, Brände oder auch eine Corona Pandemie landen direkt auf dem Schreibtisch eines jeden Einkäufers. Zudem besteht die Aufgabe des strategischen Einkäufers in großen Industrieunternehmen im Wesentlichen darin, strategische Ziele zu erreichen. Hierzu zählt insbesondere das Ziel, die Kosten im Produktionsmaterial zu reduzieren. Um Einsparpotenziale zu finden, müssen große Datenmengen miteinander verbunden, angereichert und analysiert werden. Dies geschieht heute zum Großteil manuell und händisch. Der große manuelle Aufwand frisst wertvolle Zeit und ist unterm Strich einfach auch nervige, non-value-added Arbeit.

Q// Mit welcher Geschäftsidee wollt Ihr im Procurement Erfolg haben?

A// Wir unterstützen Unternehmen, ihr maximales Einsparpotential im Produktionsmaterial automatisiert zu identifizieren und umzusetzen sowie eine vollständige Transparenz über Ihre Einkaufsvolumen und KPIs zu erlangen. Unsere Lösung ist exklusiv für global agierende Manufacturing Companies wie zum Beispiel Automobilzulieferer oder Hersteller für Haushaltswaren oder medizinische Geräte. Diese Unternehmen haben in der Regel ein (direktes) Einkaufsvolumen von rund 60 Prozent des Gesamtumsatzes bei einer Profitmarge von unter 10 Prozent. Der Einkauf ist daher eine sehr strategische Funktion und muss jedes Jahr rund 3-4 Prozent Kosten einsparen – in Zahlen 15 bis 500 Millionen Euro je nach Unternehmensgröße. Wir identifizieren Einsparpotenziale, indem wir die Daten unserer Kunden mit Marktdaten anreichern, bis auf Kostentreiberebene analysieren und für jedes einzelne Zukaufteil klare Handlungsempfehlungen geben, um Kosten zu sparen, Risiken zu minimieren oder strategische KPIs zu verbessern. Unser Tool imitiert also die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers. Es betrachtet automatisiert globale Marktereignisse wie Rohstoffpreisentwicklungen, Wechselkurse, Transportkosten oder auch Einfuhrzölle. Es analysiert selbständig Angebote und Kostenaufschlüsselungen, sogenannte Cost-Breakdowns. Und das alles ohne manuellen Aufwand.

Q// Was macht Euch sicher, dass das funktioniert bzw. euer Produkt gebraucht wird?

A// Nach etwas mehr als 6 aktiven Monaten am Markt und etlichen Gesprächen mit Unternehmen im europäischen und amerikanischen Raum zeichnet sich ein großes Interesse ab. Wir sind in sehr intensiven Gesprächen mit Weltmarkführern im Bereich Automotive Seating sowie Elevator. In ersten Projekten konnten wir Potenziale von bis zu 10 Prozent für unsere Kunden identifizieren. Das Weiteren hat sich herauskristallisiert, dass sich der Start-Up Markt im Bereich Procurement neben Themen wie Nachhaltigkeit gerade sehr stark auf den Bereich Indirect Procurement fokussiert oder die Automatisierung von operativen Aufgaben. Wir haben somit eine schöne Nische für uns entdecken können.

Q// Welche Hürden musstet Ihr bislang bei den Einkaufsabteilungen überwinden?

A// Wir haben unser Unternehmen während der Corona-Pandemie gegründet und befinden uns gerade in der nächsten Krise, die des Halbleiter-Mangels. Beide Krisen setzten die Einkaufsorganisationen unter Strom. Es bleibt wenig Zeit, sich mit Innovationen wie unserer auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite hingegen bewegt gerade das viele Einkaufsorganisationen dazu, sich jetzt mit neuen, digitalen Lösungen auseinander zu setzen. Eine weitere Hürde ist auch, dass viele Einkaufsorganisationen aufgrund Ihrer schlechten Datenqualität befürchten, dass unser Tool falsche Ergebnisse ausspuckt. „Garbage in – Garbage out“. Für das Thema Datenqualität haben wir jedoch intelligente Lösungen geschaffen. Zunächst noch skeptischen Kunden können wir schließlich mittels individuellen Produktdemos auf Grundlage ihrer eigenen Daten helfen, Vertrauen in unser Produkt aufzubauen.

Q// Welche Produkte und Services werden im (E-)Procurement der Zukunft noch dringend gebraucht?

A// Ich denke, es gibt mittlerweile für fast jedes Problem eine individuelle Lösung. Für mich stellt sich also mehr die Frage der Integrierbarkeit der Lösungen. Die Challenge liegt sicherlich darin, integrierte Lösungen zu schaffen, anstatt viele unabhängige Silos aufzubauen.

Q// Welche Potenziale interessieren und faszinieren dich in dem Feld persönlich?

A// Für mich war es als Einkäufer immer wichtig, strategische Partnerschaften mit meinen Lieferanten aufzubauen und trotz des enormen Kostendrucks Win-win-Situationen zu generieren. Das bereitet Freude, kostet jedoch Zeit und setzt Transparenz voraus. Sowohl Zeit als auch Transparenz sind nach wie vor „rare commodities“ im Einkauf. Dies liegt vor allem daran, dass die notwendigen Daten und Informationen erst mühselig aufgearbeitet werden müssen. Durch den Einsatz unseres Tools erlangt man sowohl die notwendige Transparenz als auch Zeit, die man für die Entwicklung von Strategien und die erfolgreiche Verhandlung mit Lieferanten benötigt.

Q// Warum seid Ihr „#andersmacher“ und wie sieht die Startphase mit Euch konkret aus?

A// Wir haben unsere sehr guten Jobs einfach mal in einer der größten humanitären als auch wirtschaftlichen Krise an den Nagel gehängt – mit der Mission, den Einkauf von Manufacturing Firmen zu revolutionieren. Uns motiviert es gerade, den Einkäufern ein Tool an die Hand zu geben, welches den Spaß an der Arbeit wieder zurück bringt.

Lhotse Analytics

Mehr Infos unter www.lhotse-analytics.com

Interview: Stephan Chassaing de Bourdeille

Mehr Infos unter www.oopus.de

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: „Warum wir Nachhaltigkeit auf die oberste Strategieebene gehoben haben?“ Mit Jan Grothe von der Deutschen Bahn.

Jan Grothe ist Chief Procurement Officer der Deutschen Bahn

Talk mit Jan Grothe, CPO der Deutschen Bahn. Er kam vor 20 Jahren ins Unternehmen, um dort die E-Procurement-Systeme aufzubauen. Dass er solange geblieben ist, liegt vor allem daran, dass er viele Freiheiten für neue Denk- und Arbeitsprozesse genießt. Einfach schnell ins Machen kommen, lautet seine Devise. Er sieht die Einkaufslandschaft im massiven Umbruch, weil immer mehr Digital-Skills notwendig werden und gleichzeitig die Analyse der Kunden- und Lieferantenkette immer wichtiger wird.

Q// Welche Veränderungen hast du beim Procurement der Bahn vorgenommen und wie sieht der Prozess auf lange Sicht aus?

A// Ich habe erstmal mit allen wichtigen Stakeholdern gesprochen und gefragt: Wie sehen Sie uns und wie sehen Sie den Fortschritt? Daraus haben wir dann ein Zielbild abgeleitet, wo wir 2025 hinwollen und was generell unsere strategischen Themen sind. Zunächst zu einem ganzheitlichen Werttreiber zu werden, Stichwort „beyond savings“ und co. Das alles haben wir in drei Säulen gepackt. Ganz spannend ist hier etwa das, was wir intuitive Beschaffung nennen: Für jeden Lieferanten ohne Hürden leicht ansprechbar zu sein, alle Daten transparent auszutauschen, Einblick in die Produktionssysteme zu geben. Worum geht es also im Kern: Wie stelle ich die 1300 Menschen in unserem Unternehmen so auf, dass wir in Zukunft flexibler agieren, auch entlang der sich ändernden Märkte und Anforderungen. Wir wollen einfach flexibler innerhalb der Kundenbedürfnisse werden.

Q// Wo liegen die größten Herausforderungen und vielleicht auch Fallstricke?

A// Da geht es auch bei uns ganz banal darum, welche Investitionen in Digitalisierung wir tätigen. Oder wie wir die Effizienz steigern, um Ressourcen freizuspielen für strategische Themen. Und dass wir nicht jedes Einzelthema gleich bis in die Perfektion konfektionieren wollen, sondern einfach mal ins Machen kommen, auch mal das Unperfekte denken. Also sinngemäß: Lass uns bei 80 Prozent anfangen, in Inkrementen denken, das jeweilige Thema weiterentwickeln.

Q// Welche Themen spielen künftig eine besondere Rolle im Procurement allgemein?

A// Sicher besonders die Nachhaltigkeit. Die wollen wir auf ein hohes Niveau heben, schließlich haben wir mit unserem Sourcing-Anteil von 20 Milliarden am Markt einen ganz wesentlichen Einfluss auf das Klima. Das wird aber nicht erfolgreich sein, wenn wir es über die Lieferkette nicht konsequent umsetzen.

Q// Wie müssen sich die Skills der Einkäufer verändern?

A// Das ist ein hochspannendes Thema, für das wir gerade ein neues Programm aufgesetzt haben. Dringend erforderlich werden künftig Digital-Skills sein: analytisch sein, welchen Content die User in den Geschäftsunits brauchen und wie sie in der Logik vom Bedarf bis zur Rechnung denken. Es geht weniger darum, dass jeder alles kann und der beste Analytiker wird, sondern darum, dass ich wissen muss, was ich machen kann. Was es an Möglichkeiten gibt bei Forecast-Modellen etc. Und vor allem: Wie arbeiten wir eigentlich zusammen! Da investieren wir sehr stark in Beratungs- und Lösungskompetenzen. Den Einkäufer als Bestellschreiber von früher gibt es einfach nicht mehr, wir haben einen hohen Automatisierungsanteil im Massengeschäft und schaufeln somit Ressourcen fürs Beratungsgeschäft frei.

Q// Wer ist Jan Grothe und was macht ihn zum Punk?

A// Ich war vorher selbständiger Berater und kam zur Bahn, um dort die E-Systeme aufzubauen. Eigentlich hatte ich dafür so zwei Jahre eingeplant, mittlerweile bin ich seit 20 Jahren hier. Für mich war das immer eine hochspannende Aufgabe, für die hundert Gesellschaften der Bahn die E-Procurement-Systeme aufzubauen. Was mich so lange hat bleiben lassen, war die Möglichkeit, extrem viel zu machen. Zuhören, Schlüsse ziehen und dann ins Machen kommen. Ich habe hier auch eine Initiative mitgegründet, wo es darum geht, Dinge zu hinterfragen, Dinge anders zu tun, Ideen schnell zu verknüpfen. Das hat mich begleitet, ohne dass ich mich selbst in irgendeiner Form verbiegen musste. Hat riesig Spaß gemacht bis jetzt. Meine anarchische Facette ist vielleicht ganz einfach die, dass ich gerne Entscheidungen treffe und im Zweifelsfall lieber hinterher um Entschuldigung bitte, wenn es nicht geklappt hat – anstatt dadurch coole Dinge zu versäumen, von denen ich total überzeugt war.

Interview: Stephan Chassing de Bourdeille. Ausschnitte haben wir als Audio-Mitschnitte bei Soundcloud bereitgestellt.

Interview: Stephan Chassaing de Bourdeille

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: Warum wir entlernen müssen und was Hotelportiers mit innovativem Einkauf zu tun haben? Roman Miserre von Burda.

Burdas Procurement-Crew: Stephan (2. von links) mit dem Team von Roman Miserre (2. von rechts)

Q// Inwiefern ist eine digitale Transformation im Procurement eine Frage der Haltung und was bedeutet das für Dich?

A// Ob es mich als Einkauf in der Digitalisierung zerreißt, ist zu 78 Prozent, vielleicht sogar 83 Prozent eine Frage der Haltung und des Erlernens neuer Kompetenzen. Wenn wir nicht exzellent darin werden, Beziehungen zu managen, Veränderungen zu organisieren oder aus Daten entscheidungsrelevante Stories zu bauen, werden wir vom Kollegen KI schneller weggewischt als wir relevanter Einkauf auch nur buchstabieren können.

Q// Wo und wie fängst Du in Deiner Abteilung konkret mit der Veränderung an? Welche Prozesse oder Strukturen werden zuerst digitalisiert – oder fallen künftig sogar weg?

A// Für uns bei BurdaProcurement hat die Digitalisierung zwei Handlungsstränge: Den ersten kann man „How to implement procurement excellence“ nennen, also: Wie entrümple und “elektrifiziere“ ich unsere Prozesse. Diese Hausaufgabe kennt jeder Einkauf und muss jeder Einkauf angehen. Der zweite Strang ist aber viel relevanter, nennen wir ihn “how to discover mindset excellence”, also: Wie finde und entwickle ich die richtigen Personen mit der richtigen Haltung. Dieses Thema habe ich nicht nur ins Zentrum unserer Transformation gestellt, sondern an deren Anfang. Wir müssen im Kern ernstnehmen: Digitale Transformation ist kein IT-Projekt, sondern zuvorderst ein Change-Projekt im Peoplemanagement.

Dr. Roman Miserre…

… ist promovierter Jurist und Geschäftsführer der Burda Procurement GmbH, der Einkaufstochter von Hubert Burda Media. Roman arbeitet seit über zehn Jahren in unterschiedlichen Führungspositionen im Unternehmen und dessen Töchtern – als Justiziar, Personal- oder Finanzchef und Geschäftsführer.

Q// Auf welche Widerstände triffst Du mit den Veränderungen im Team und wie gehst Du damit um?

A// Seit 15 Jahren begleite ich Organisationen in ihrer Transformation, egal ob als CFO, Leiter HR oder jetzt CPO: die dabei auftretenden Widerstände waren im Kern erstaunlich ähnlich – egal ob es sich um ein digitales Unternehmen oder einen operativen Einkauf handelt. Jedes Team geht durch die gleichen Change-Täler der Skepsis, Unsicherheit und Unwillen. Wie man damit konkret umgeht, findet sich in jedem anständigen Changemanagement-Buch. Wir haben hier keinen Mangel an Wissen, sondern nur an Umsetzung, erneut: In Zeiten der Digitalisierung ist Changemanagement DIE zentrale Aufgabe eines CPO.

Q// Lässt sich dem Procurement ein „Storytelling“ andienen, das dem Thema sowohl auf der Einkaufsseite, als auch in der Argumentation mit der Konzernleitung nutzt?

A// Ja, allein schon die Frage liebe ich: Storytelling ist einer der Schlüssel zur Relevanz. Wir als Einkauf geben uns bislang kaum Mühe, dem Fachbereich aus den uns vorliegenden Fakten eine analytisch sortierte Geschichte erzählen zu können, die ihm Orientierung, Sicherheit und Handlungsanweisung vermittelt. Wir werfen unserem internen “Kunden” vielmehr eingesammelte Fakten über den Zaun und schütteln genervt den Kopf, wenn er damit mal wieder nichts anfängt. Wenn wir hier nicht besser werden, lassen wir die größte Chance der Digitalisierung ungenützt, da wir als Procurement zunehmend Owner von Terabyte von unternehmensrelevanten Daten werden.

Es ist im Endeffekt ja sehr einfach: Du bist als Einkäufer nur so erfolgreich, wie es dir gelingt, andere vom Mehrwert deiner Ideen zu überzeugen. Wir bei BurdaProcurement trainieren daher regelmäßig, und damit meine ich fast wöchentlich, gemeinsam im Team Data Driven Storytelling im Rahmen von Dry Runs. Und weißt du was: Mittlerweile macht das allen richtig Spaß. Diese trainierte Fähigkeit kannst du im Übrigen auch bei deinen Kindern oder deinem Partner effektvoll zum Einsatz bringen.

Q// Wo steht die Branche und in welchen Teilbereichen besteht der dringendste Restrukturierungs-/Transformationsbedarf und warum?

A// Über die Hälfte der Umsätze von Hubert Burda Media kommen mittlerweile aus dem Digitalbereich. Der Einkauf von schwer spezifizierbaren Cloud-Leistungen, aber auch das Aufspüren neuer Start-ups, verändert die Rolle und die internen Prozesse von uns Einkäufern grundlegend. Procurement muss der Informations-Hub für “supplier enabled innovation” werden. Das ist das zukünftige Spielfeld von Relevanz.

Q// Siehst du in eurer Branche, Deinem ganz speziellen Marktumfeld Besonderheiten hinsichtlich der digitalen Transformation im Procurement?

A// Da sind wir beim Pudels Kern: was ist meine Branche? Hubert Burda Media ist von Tiefdruck über Verlage bis hin zu E-Commerce engagiert. Wir als Spendmanager stehen damit vor der Aufgabe, dutzende – in Benutzeroberfläche und Bedarf – völlig unterschiedliche Klienten mit den jeweils richtigen Mehrwerten zu bedienen. Dieser Umstand alleine beinhaltet schon einen hohen Transformationsbedarf im Mind- und Skillset. Eine Fokussierung auf Effizienz alleine würde uns hier nicht weit bringen.

Q// Wie stehst Du zu der These, dass der Einkauf künftig als „Brand“, also als Marke eines Unternehmens geführt werden muss?

A// Wir haben bei uns im Flur vor einiger Zeit den Golden Circle von Simon Sinek an die Wand gebastelt. Danach haben wir gewartet, mit welchen Post-its die Kollegen unser “Why”, “How” und “What” ausfüllen. Zur Zeit steht im Zentrum des “Why”: “We develop BurdaProcurement as Love Brand for our clients.” Ich finde dieses WHY schlichtweg großartig: Ein Einkauf braucht eine für den Klienten erkennbare Handschrift, damit der Klient uns gerne einbindet. Und der Klient soll durch anhaltende WOW-Projekte ein wirklicher Fan unserer Abteilung werden. Wir messen dies für alle sichtbar konstant durch NPS-Umfragen.

Als Einkaufswelt sind wir erstaunlich lange und unfallfrei mit der Haltung durch den Alltag gekommen, eine saubere Richtlinie und effiziente Prozesse reichen für das Buy-in der Fachbereiche. Diese Zeiten – wenn es sie denn gab – sind meiner Ansicht nach vorbei. Daher: Etabliere Procurement als Love Brand in deinem Haus.

Q// Wie verändern sich dadurch die Rollen und welchen Typus Mitarbeiter oder Führungskraft erfordert die digitale Transformation im Einkauf künftig aus Deiner Sicht? Und welche Erwartung stellst Du in Zukunft an Aus- und Weiterbildung und an Einsteiger?

A// Um mal mit Schlagworten um mich zu werfen: Aus fachlichen Einkaufsleitern werden Orientierung gebende Change-Kapitäne, aus effizienten Prozessabwicklern werden agile Spend- und Beziehungsmanager. Die meisten würden mir bei diesen Bullshit-Bingo-Überschriften zustimmen. Sie sind ja auch richtig. Unser aller Problem ist nur, dass wir dies in unserer Procurement Welt noch schwer vom Kopf auf die Füße bekommen! Schaue dir einfach mal Weiterbildungsbroschüren für Einkäufer aus dem Jahr 2019 an: in Ziffer 1-8 fachliche Themen, wie Warengruppenstrategien, dann am Ende – kurz vorm Impressum – in Ziffer 9: “Soft Skills”, wie interpersonelle Kompetenzen. Wir müssen begreifen, dass diese “Soft Skills” am Ende der Broschüre kein nice-to-have HR-Beiwerk sind. Sie beinhalten unsere zukünftigen Kernkompetenzen und gehören damit an den Anfang unserer Transformation. Es sind Fähigkeiten, in denen wir als Einkäufer zudem – vorsichtig ausgedrückt – beängstigend untertrainiert sind.

Q// Welches Unternehmen hat aus Deiner Sicht bisher überhaupt innovative Ideen für das Procurement umgesetzt?

A// Ich kenne viele innovative Einkaufsabteilungen und liebe den Austausch mit ihnen. Die oft noch größere Inspiration bekommt man aber, wenn man weiter über den Tellerrand hinaussieht. Wenn ich mich etwa mit “Service Excellence” beschäftige, schaue ich lieber zu einem Gespräch bei einem Portier eines Luxushotels vorbei als bei einem Einkauf.

Q// Letzte Frage: Was macht einen Procurement Punk aus?

A// Ich bleibe beim Kern unseres Gesprächs: Ein CPO wird am schnellsten dadurch zum Punk, wenn er in der anstehenden Disruption die Themen Leadership und Changemanagement als seine beiden zentralen Aufgaben erkennt. Hierzu müssen wir als Einkaufsleiter viel an Sicherheiten hinter uns lassen, etwa die Sicherheiten, wenn wir uns auf das Fachliche oder unsere Prozesse konzentrieren. Genau diese Parameter sind aber zu einem gewissen Stück das Narrativ, weshalb wir mal Einkäufer wurden. Hier zu “entlernen”, das macht einen Procurement Punk aus dir.

Interview: Stephan Chassing de Bourdeille

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: Warum auch in Krisenzeiten Orientierung wichtig bleibt? Ein Vorgehensmodell während Covid-19

Die FIVE CIRCLES von der oopus valley network GmbH sind ein Vorgehensmodell, dass bei Veränderungsprozessen Orientierung gibt. Dies gilt auch und gerade in Krisenzeiten. Auf der Reise der Veränderung von Abteilungen, gilt es die Menschen mitzunehmen. Wie das gelingt erläutern Christian Thöne, Roman Miserre (CPO von Burda) und Stephan de Bourdeille. PNKs for you!

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: Warum Einkäufer bessere Scouts werden müssen? Sebastian Voigt von Hy!

Der digitale Wandel erfasst die B2B-Welt, und deshalb weckt Corporate Procurement das Interesse von hy-Manager Sebastian Voigt. Er warnt: Als Innovationstreiber fallen Einkäufer oft aus. Sie müssen bessere Scouts werden in den Märkten, die für ihre Fachabteilungen relevant sind. Genau da will Voigt anpacken – und lädt die Einkäufer in unserem Podcast mit Stephan demonstrativ an den Tisch.

Feedback? Bitte! Gerne hier!

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: Wie wird Marketingeinkauf als Partner wahrgenommen?

Im new Business-Podcast von Heiko Burrack dreht sich alles um das Neugeschäft von Agenturen. Entscheider aus Agenturen, aber auch Marketingleiter und Einkäufer kommen zu Wort.

In diesem Gespräch geht es darum, wie kreative Agenturleistungen eingekauft werden und dadurch der Einkauf zum Partner von Agenturen und dem Fachbereich wird. Es geht nicht mehr nur darum, Kosten zu drücken: Wer ist zwischen Einkauf und Marketing im Lead? Wie ist es zu bewerten, wenn der Erstkontakt über den Einkauf geht? Sollte ein Pitch honoriert werden? Wie gehe ich mit kleinteiligen Ausschreibungen um? Wann kann man Auktionen einsetzen?

Spannende Fragen – spannende Antworten. Bitte hört hier rein.

Weitere Beiträge

PNKs im Gespräch: „Procurement verkauft sich intern nicht gut.“ Susanne Vorberg von Airbus

Susanne Vorberg, Airbus

Susanne Vorberg verantwortet als Teil des Digital Transformation Office Procurement die digitale Transformation im strategischen Einkauf bei Airbus.Sie verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Unternehmen in den Bereichen Consulting, eCommerce, Procurement und Supply Chain. Die Basis für ihren beruflichen Werdegang legte sie in ihrer Ausbildung als Diplom-Wirtschaftsingenieurin. In einem multikulturellen Umfeld, zusammengesetzt aus Lieferanten und Teams weltweit, konnte sie ihr fundiertes technisches und betriebswirtschaftliches Wissen über die Jahre hinweg vertiefen. Berufsbegleitende Weiterbildung in den Bereichen Lean & Six Sigma, Design Thinking, UX und Coaching ergänzen dieses Profil um wichtige Bausteine auf dem Weg zum Digital Transformation Leader. Im Jahr 2016 wurde sie für ihre jetzige Aufgabe als Digital Transformation Leader Procurement vorgeschlagen – eine Chance in der digitalen Airbus-Community die Zukunft des Einkaufs federführend zu gestalten. Dabei verbindet sie alle Aspekte, die maßgeblich die Digitalisierung beeinflussen: Neue Technologien, agile Arbeitsweisen und disruptive Ansätze.

Q// Inwiefern ist eine digitale Transformation im Procurement eine Frage der Haltung und was bedeutet das für Dich?

A// Digitale Transformation fundiert auf einer offenen Haltung und Bereitschaft sich den Veränderungen zu stellen. Bei uns ist es eine Mischung aus Top down und Bottom Up – das Management hat verstanden, dass wir uns verändern müssen, scheint aber nicht immer zu wissen wie – und die Mitarbeiter – zumindest viele – wollen und fordern Veränderung.

Q// Digitalisierung bedeutet Veränderung. Wo und wie fängst Du in Deiner Abteilung damit konkret an? Welche Prozesse oder Strukturen werden zuerst digitalisiert – oder fallen künftig sogar weg?

A// Wir haben uns intensiv mit allen Bereichen unterhalten, Workshops gemacht und gefragt, gefragt, gefragt: Was sind die Pain Points? Was funktioniert nicht? Was könnte anders sein? – und haben darauf basierend unsere Roadmap aufgesetzt, die sich kontinuierlich anpasst. Nach einigen Proof of Concepts und Trials haben wir dann bei zwei Prozessen – Verträge und Lieferantenmanagement – gestoppt und verändern dort jetzt Prozess, Tools und Arbeitsweisen. So arbeiten wir uns durch die Procurementwelt.

Q// Auf welche Widerstände triffst Du mit den Veränderungen im Team und wie gehst Du damit um?

A// Angst, Kontrollverlust, Positionsverlust, sich verändern, neues lernen müssen, Daily Business. Wie gehe ich damit um: Mit Geduld, Lunch-Verabredungen, indem wir Fakten schaffen mit Minimum Viable Products (MVP) und Proofs of Concept (PoC). Und indem wir das Management überzeugen, Kollegen involvieren, Digital Coaches und Ambassadors einbinden – und jetzt eben die Punk Rocker wie Dich. Ach, und ab und zu muss man Dinge auch mal ignorieren.

Q// Lässt sich dem Procurement ein „Storytelling“ andienen, das sowohl dem Einkauf selbst, als auch in der Argumentation mit der Konzernleitung nutzt?

A// Ja, davon bin ich bin fest überzeugt. Procurement kann sich nicht gut verkaufen, ist oft in der Rechtfertigung, fokussiert auf Cost Savings mehr als auf Zukunftsvisionen. Die Fähigkeit, Procurement gut zu platzieren und zu verkaufen, ist absolut wesentlich in der derzeitigen Phase der Transformation.

Q// Wo steht die Branche und in welchen Teilbereichen besteht der dringendste Restrukturierungs-/Transformationsbedarf?

A// Ich glaube, beim Mindset – und das durch alle Hierarchien. Transformation ist kein ‚Nice to have‘ sondern ein Must – das muss durch alle Ebenen verstanden werden. Die technischen Veränderungen, die Digitalisierung ist meines Erachtens gar nicht das große Problem – sondern der Mensch dahinter.

Q// Gibt es in Deiner Branche, Deinem ganz speziellen Marktumfeld Besonderheiten hinsichtlich der digitalen Transformation?

A// Ich denke die Besonderheit in meiner Branche besteht darin, dass wir uns in einem sehr eingeschliffenen Markt befinden. Es gibt wenig Veränderung, dafür aber große und dominante Key Player. Zudem wird erst wenig verstanden, wie die Business Modelle der Zukunft eigentlich aussehen, was wiederum den Einkauf maßgeblich beeinflusst! Die Prozesse heute sind sehr langsam – Agilität ist nicht gefordert, wird es aber in der Zukunft sein.

Q// Wie stehst Du zu der These, dass der Einkauf künftig als ‚Brand‘, also als Marke eines Unternehmens geführt werden muss? Spielen dabei Werte eine Rolle?

A// Ich finde die These wichtig und richtig: Bei uns liegen 80 Prozent der Wertschöpfungskette im Einkauf – und die wichtigsten Werte, wie Nachhaltigkeit, Compliance und die Entwicklung „grüner“ Produkte basierend auf einer transparenten Lieferkette, muss der Einkauf steuern.

Q// Wie verändern sich die Rollen und welchen Typus Mitarbeiter/Führungskraft erfordert die digitale Transformation im Einkauf künftig aus Deiner Sicht? Welche Erwartung stellst Du in Zukunft an Aus- und Weiterbildung und an Einsteiger?

A// Ich finde es im Moment noch recht schwierig, das zu konkretisieren – grundsätzlich müssen Mitarbeiter permanent weiterentwickeln und neugierig sein. Das klassische 9to5-Modell, 30 Jahre gleicher Arbeitsplatz, wird wohl bald nicht mehr existieren. Führungskräfte müssen lernen, im Netzwerk zu denken und zu agieren. Top down mit Steering Committees ist nicht agil – nicht schnell genug. Aus- und Weiterbildung ist der Schlüssel zum Erfolg dabei.

Q// Welches Unternehmen hat aus Deiner Sicht bisher überhaupt innovative Ideen für das Procurement umgesetzt? Welche konkreten Impulse hast Du daraus gewonnen, welche setzt Du selbst als nächstes konkret um?

A// Ich habe viele gute Beispiele in Unternehmen gesehen, z.B. bei Innogy, Lufthansa Technik, Porsche, Deutsche Post, Bosch – Impulse habe ich daraus verschiedentlich ziehen können! Sowohl für Projekte, also auch für Herangehensweisen und ganz besonders dazu, wie wichtig das Netzwerken ist.

Q// Ach so, ganz wichtig noch: Was macht einen Procurement Punk aus?

A// Das ‚neugierig sein‘, offen sein für Veränderung, bereit zu investieren, bereit Ängste abzubauen. Einer wie Du und ich, der Spaß beim Arbeiten haben möchte und mitgestalten.

Interview: Stephan Chassaing de Bourdeille

Weitere Beiträge