Burdas Procurement-Crew: Stephan (2. von links) mit dem Team von Roman Miserre (2. von rechts)
Q// Inwiefern ist eine digitale Transformation im Procurement eine Frage der Haltung und was bedeutet das für Dich?
A// Ob es mich als Einkauf in der Digitalisierung zerreißt, ist zu 78 Prozent, vielleicht sogar 83 Prozent eine Frage der Haltung und des Erlernens neuer Kompetenzen. Wenn wir nicht exzellent darin werden, Beziehungen zu managen, Veränderungen zu organisieren oder aus Daten entscheidungsrelevante Stories zu bauen, werden wir vom Kollegen KI schneller weggewischt als wir relevanter Einkauf auch nur buchstabieren können.
Q// Wo und wie fängst Du in Deiner Abteilung konkret mit der Veränderung an? Welche Prozesse oder Strukturen werden zuerst digitalisiert – oder fallen künftig sogar weg?
A// Für uns bei BurdaProcurement hat die Digitalisierung zwei Handlungsstränge: Den ersten kann man „How to implement procurement excellence“ nennen, also: Wie entrümple und “elektrifiziere“ ich unsere Prozesse. Diese Hausaufgabe kennt jeder Einkauf und muss jeder Einkauf angehen. Der zweite Strang ist aber viel relevanter, nennen wir ihn “how to discover mindset excellence”, also: Wie finde und entwickle ich die richtigen Personen mit der richtigen Haltung. Dieses Thema habe ich nicht nur ins Zentrum unserer Transformation gestellt, sondern an deren Anfang. Wir müssen im Kern ernstnehmen: Digitale Transformation ist kein IT-Projekt, sondern zuvorderst ein Change-Projekt im Peoplemanagement.
Dr. Roman Miserre…
… ist promovierter Jurist und Geschäftsführer der Burda Procurement GmbH, der Einkaufstochter von Hubert Burda Media. Roman arbeitet seit über zehn Jahren in unterschiedlichen Führungspositionen im Unternehmen und dessen Töchtern – als Justiziar, Personal- oder Finanzchef und Geschäftsführer.
Q// Auf welche Widerstände triffst Du mit den Veränderungen im Team und wie gehst Du damit um?
A// Seit 15 Jahren begleite ich Organisationen in ihrer Transformation, egal ob als CFO, Leiter HR oder jetzt CPO: die dabei auftretenden Widerstände waren im Kern erstaunlich ähnlich – egal ob es sich um ein digitales Unternehmen oder einen operativen Einkauf handelt. Jedes Team geht durch die gleichen Change-Täler der Skepsis, Unsicherheit und Unwillen. Wie man damit konkret umgeht, findet sich in jedem anständigen Changemanagement-Buch. Wir haben hier keinen Mangel an Wissen, sondern nur an Umsetzung, erneut: In Zeiten der Digitalisierung ist Changemanagement DIE zentrale Aufgabe eines CPO.
Q// Lässt sich dem Procurement ein „Storytelling“ andienen, das dem Thema sowohl auf der Einkaufsseite, als auch in der Argumentation mit der Konzernleitung nutzt?
A// Ja, allein schon die Frage liebe ich: Storytelling ist einer der Schlüssel zur Relevanz. Wir als Einkauf geben uns bislang kaum Mühe, dem Fachbereich aus den uns vorliegenden Fakten eine analytisch sortierte Geschichte erzählen zu können, die ihm Orientierung, Sicherheit und Handlungsanweisung vermittelt. Wir werfen unserem internen “Kunden” vielmehr eingesammelte Fakten über den Zaun und schütteln genervt den Kopf, wenn er damit mal wieder nichts anfängt. Wenn wir hier nicht besser werden, lassen wir die größte Chance der Digitalisierung ungenützt, da wir als Procurement zunehmend Owner von Terabyte von unternehmensrelevanten Daten werden.
Es ist im Endeffekt ja sehr einfach: Du bist als Einkäufer nur so erfolgreich, wie es dir gelingt, andere vom Mehrwert deiner Ideen zu überzeugen. Wir bei BurdaProcurement trainieren daher regelmäßig, und damit meine ich fast wöchentlich, gemeinsam im Team Data Driven Storytelling im Rahmen von Dry Runs. Und weißt du was: Mittlerweile macht das allen richtig Spaß. Diese trainierte Fähigkeit kannst du im Übrigen auch bei deinen Kindern oder deinem Partner effektvoll zum Einsatz bringen.
Q// Wo steht die Branche und in welchen Teilbereichen besteht der dringendste Restrukturierungs-/Transformationsbedarf und warum?
A// Über die Hälfte der Umsätze von Hubert Burda Media kommen mittlerweile aus dem Digitalbereich. Der Einkauf von schwer spezifizierbaren Cloud-Leistungen, aber auch das Aufspüren neuer Start-ups, verändert die Rolle und die internen Prozesse von uns Einkäufern grundlegend. Procurement muss der Informations-Hub für “supplier enabled innovation” werden. Das ist das zukünftige Spielfeld von Relevanz.
Q// Siehst du in eurer Branche, Deinem ganz speziellen Marktumfeld Besonderheiten hinsichtlich der digitalen Transformation im Procurement?
A// Da sind wir beim Pudels Kern: was ist meine Branche? Hubert Burda Media ist von Tiefdruck über Verlage bis hin zu E-Commerce engagiert. Wir als Spendmanager stehen damit vor der Aufgabe, dutzende – in Benutzeroberfläche und Bedarf – völlig unterschiedliche Klienten mit den jeweils richtigen Mehrwerten zu bedienen. Dieser Umstand alleine beinhaltet schon einen hohen Transformationsbedarf im Mind- und Skillset. Eine Fokussierung auf Effizienz alleine würde uns hier nicht weit bringen.
Q// Wie stehst Du zu der These, dass der Einkauf künftig als „Brand“, also als Marke eines Unternehmens geführt werden muss?
A// Wir haben bei uns im Flur vor einiger Zeit den Golden Circle von Simon Sinek an die Wand gebastelt. Danach haben wir gewartet, mit welchen Post-its die Kollegen unser “Why”, “How” und “What” ausfüllen. Zur Zeit steht im Zentrum des “Why”: “We develop BurdaProcurement as Love Brand for our clients.” Ich finde dieses WHY schlichtweg großartig: Ein Einkauf braucht eine für den Klienten erkennbare Handschrift, damit der Klient uns gerne einbindet. Und der Klient soll durch anhaltende WOW-Projekte ein wirklicher Fan unserer Abteilung werden. Wir messen dies für alle sichtbar konstant durch NPS-Umfragen.
Als Einkaufswelt sind wir erstaunlich lange und unfallfrei mit der Haltung durch den Alltag gekommen, eine saubere Richtlinie und effiziente Prozesse reichen für das Buy-in der Fachbereiche. Diese Zeiten – wenn es sie denn gab – sind meiner Ansicht nach vorbei. Daher: Etabliere Procurement als Love Brand in deinem Haus.
Q// Wie verändern sich dadurch die Rollen und welchen Typus Mitarbeiter oder Führungskraft erfordert die digitale Transformation im Einkauf künftig aus Deiner Sicht? Und welche Erwartung stellst Du in Zukunft an Aus- und Weiterbildung und an Einsteiger?
A// Um mal mit Schlagworten um mich zu werfen: Aus fachlichen Einkaufsleitern werden Orientierung gebende Change-Kapitäne, aus effizienten Prozessabwicklern werden agile Spend- und Beziehungsmanager. Die meisten würden mir bei diesen Bullshit-Bingo-Überschriften zustimmen. Sie sind ja auch richtig. Unser aller Problem ist nur, dass wir dies in unserer Procurement Welt noch schwer vom Kopf auf die Füße bekommen! Schaue dir einfach mal Weiterbildungsbroschüren für Einkäufer aus dem Jahr 2019 an: in Ziffer 1-8 fachliche Themen, wie Warengruppenstrategien, dann am Ende – kurz vorm Impressum – in Ziffer 9: “Soft Skills”, wie interpersonelle Kompetenzen. Wir müssen begreifen, dass diese “Soft Skills” am Ende der Broschüre kein nice-to-have HR-Beiwerk sind. Sie beinhalten unsere zukünftigen Kernkompetenzen und gehören damit an den Anfang unserer Transformation. Es sind Fähigkeiten, in denen wir als Einkäufer zudem – vorsichtig ausgedrückt – beängstigend untertrainiert sind.
Q// Welches Unternehmen hat aus Deiner Sicht bisher überhaupt innovative Ideen für das Procurement umgesetzt?
A// Ich kenne viele innovative Einkaufsabteilungen und liebe den Austausch mit ihnen. Die oft noch größere Inspiration bekommt man aber, wenn man weiter über den Tellerrand hinaussieht. Wenn ich mich etwa mit “Service Excellence” beschäftige, schaue ich lieber zu einem Gespräch bei einem Portier eines Luxushotels vorbei als bei einem Einkauf.
Q// Letzte Frage: Was macht einen Procurement Punk aus?
A// Ich bleibe beim Kern unseres Gesprächs: Ein CPO wird am schnellsten dadurch zum Punk, wenn er in der anstehenden Disruption die Themen Leadership und Changemanagement als seine beiden zentralen Aufgaben erkennt. Hierzu müssen wir als Einkaufsleiter viel an Sicherheiten hinter uns lassen, etwa die Sicherheiten, wenn wir uns auf das Fachliche oder unsere Prozesse konzentrieren. Genau diese Parameter sind aber zu einem gewissen Stück das Narrativ, weshalb wir mal Einkäufer wurden. Hier zu “entlernen”, das macht einen Procurement Punk aus dir.
Interview: Stephan Chassing de Bourdeille