Nicolas Neubauer ist CEO & Co-Gründer von Lhotse
Talk mit Nicolas Neubauer, CPO von Lhotse Analytics. Das junge Koblenzer Unternehmen hat eine Software für den strategischen Einkauf entwickelt, die durch Algorithmen und Business Intelligence Einsparpotenziale aufzeigt. Neubauer sagt: „Unser Tool imitiert die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers.“
Q// Wie bist du selbst ins Procurement und zu eurer Startup-Idee gekommen?
A// Wenn du meine Eltern fragen würdest, würden Sie Dir bestätigen, dass ich schon mit 8 Jahren sämtliche Kataloge, Artikel, Preise und Sachnummern für Mountainbike-Komponenten auswendig gekannt und sowohl technische als auch kommerzielle Benchmarks gemacht habe – das war wohl der Anfang. Während meines Studiums zum Wirtschaftsingenieur hat mich die Vorlesung „Beschaffung und Logistik“ stark interessiert. In meiner Heimatstadt Koblenz war damals ein Purchasing-Hub des amerikanischen Automobilzulieferers TRW Automotive (heute ZF). Hier habe ich während des Studiums als Werkstudent gestartet und mich innerhalb von ein paar Jahren zum Teamleiter „hochgearbeitet“.
Als global agierende Einkaufsmanager in der Automobilindustrie waren mein Geschäftspartner Daniel Demuth und ich oft frustriert darüber, wieviel Zeit unsere Teams jeden Tag mit Datenmanagement und Reporting verbrachten. Am Markt fanden wir viele Lösungen, um den operativen Einkauf zu digitalisieren – jedoch keine Lösung, um den strategischen Einkauf von Manufacturing Companies zu vereinfachen.
Die Komplexität steigt stetig, und trotzdem nutzt diese Industrie dieselben Tools wie vor 15 oder 20 Jahren. Das wollten wir ändern.
Q// Welcher „pain“ wird hier gelindert?
A// Die Einkäufer in globalen Industrieunternehmen arbeiten in einem sehr komplexen Umfeld. Sie managen im Schnitt 20 Millionen Euro Spend, 50+ globale Lieferanten, 20+ globale Werke und 500+ aktive Teilenummern. Nahezu jedes Ereignis am Weltmarkt wie zum Beispiel Inflation, Logistikkrisen wie das Thema Evergreen, Kapazitätskrisen wie aktuell Halbleiter, Force Majors wie Fluten, Brände oder auch eine Corona Pandemie landen direkt auf dem Schreibtisch eines jeden Einkäufers. Zudem besteht die Aufgabe des strategischen Einkäufers in großen Industrieunternehmen im Wesentlichen darin, strategische Ziele zu erreichen. Hierzu zählt insbesondere das Ziel, die Kosten im Produktionsmaterial zu reduzieren. Um Einsparpotenziale zu finden, müssen große Datenmengen miteinander verbunden, angereichert und analysiert werden. Dies geschieht heute zum Großteil manuell und händisch. Der große manuelle Aufwand frisst wertvolle Zeit und ist unterm Strich einfach auch nervige, non-value-added Arbeit.
Q// Mit welcher Geschäftsidee wollt Ihr im Procurement Erfolg haben?
A// Wir unterstützen Unternehmen, ihr maximales Einsparpotential im Produktionsmaterial automatisiert zu identifizieren und umzusetzen sowie eine vollständige Transparenz über Ihre Einkaufsvolumen und KPIs zu erlangen. Unsere Lösung ist exklusiv für global agierende Manufacturing Companies wie zum Beispiel Automobilzulieferer oder Hersteller für Haushaltswaren oder medizinische Geräte. Diese Unternehmen haben in der Regel ein (direktes) Einkaufsvolumen von rund 60 Prozent des Gesamtumsatzes bei einer Profitmarge von unter 10 Prozent. Der Einkauf ist daher eine sehr strategische Funktion und muss jedes Jahr rund 3-4 Prozent Kosten einsparen – in Zahlen 15 bis 500 Millionen Euro je nach Unternehmensgröße. Wir identifizieren Einsparpotenziale, indem wir die Daten unserer Kunden mit Marktdaten anreichern, bis auf Kostentreiberebene analysieren und für jedes einzelne Zukaufteil klare Handlungsempfehlungen geben, um Kosten zu sparen, Risiken zu minimieren oder strategische KPIs zu verbessern. Unser Tool imitiert also die Denkweise des idealen strategischen Einkäufers. Es betrachtet automatisiert globale Marktereignisse wie Rohstoffpreisentwicklungen, Wechselkurse, Transportkosten oder auch Einfuhrzölle. Es analysiert selbständig Angebote und Kostenaufschlüsselungen, sogenannte Cost-Breakdowns. Und das alles ohne manuellen Aufwand.
Q// Was macht Euch sicher, dass das funktioniert bzw. euer Produkt gebraucht wird?
A// Nach etwas mehr als 6 aktiven Monaten am Markt und etlichen Gesprächen mit Unternehmen im europäischen und amerikanischen Raum zeichnet sich ein großes Interesse ab. Wir sind in sehr intensiven Gesprächen mit Weltmarkführern im Bereich Automotive Seating sowie Elevator. In ersten Projekten konnten wir Potenziale von bis zu 10 Prozent für unsere Kunden identifizieren. Das Weiteren hat sich herauskristallisiert, dass sich der Start-Up Markt im Bereich Procurement neben Themen wie Nachhaltigkeit gerade sehr stark auf den Bereich Indirect Procurement fokussiert oder die Automatisierung von operativen Aufgaben. Wir haben somit eine schöne Nische für uns entdecken können.
Q// Welche Hürden musstet Ihr bislang bei den Einkaufsabteilungen überwinden?
A// Wir haben unser Unternehmen während der Corona-Pandemie gegründet und befinden uns gerade in der nächsten Krise, die des Halbleiter-Mangels. Beide Krisen setzten die Einkaufsorganisationen unter Strom. Es bleibt wenig Zeit, sich mit Innovationen wie unserer auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite hingegen bewegt gerade das viele Einkaufsorganisationen dazu, sich jetzt mit neuen, digitalen Lösungen auseinander zu setzen. Eine weitere Hürde ist auch, dass viele Einkaufsorganisationen aufgrund Ihrer schlechten Datenqualität befürchten, dass unser Tool falsche Ergebnisse ausspuckt. „Garbage in – Garbage out“. Für das Thema Datenqualität haben wir jedoch intelligente Lösungen geschaffen. Zunächst noch skeptischen Kunden können wir schließlich mittels individuellen Produktdemos auf Grundlage ihrer eigenen Daten helfen, Vertrauen in unser Produkt aufzubauen.
Q// Welche Produkte und Services werden im (E-)Procurement der Zukunft noch dringend gebraucht?
A// Ich denke, es gibt mittlerweile für fast jedes Problem eine individuelle Lösung. Für mich stellt sich also mehr die Frage der Integrierbarkeit der Lösungen. Die Challenge liegt sicherlich darin, integrierte Lösungen zu schaffen, anstatt viele unabhängige Silos aufzubauen.
Q// Welche Potenziale interessieren und faszinieren dich in dem Feld persönlich?
A// Für mich war es als Einkäufer immer wichtig, strategische Partnerschaften mit meinen Lieferanten aufzubauen und trotz des enormen Kostendrucks Win-win-Situationen zu generieren. Das bereitet Freude, kostet jedoch Zeit und setzt Transparenz voraus. Sowohl Zeit als auch Transparenz sind nach wie vor „rare commodities“ im Einkauf. Dies liegt vor allem daran, dass die notwendigen Daten und Informationen erst mühselig aufgearbeitet werden müssen. Durch den Einsatz unseres Tools erlangt man sowohl die notwendige Transparenz als auch Zeit, die man für die Entwicklung von Strategien und die erfolgreiche Verhandlung mit Lieferanten benötigt.
Q// Warum seid Ihr „#andersmacher“ und wie sieht die Startphase mit Euch konkret aus?
A// Wir haben unsere sehr guten Jobs einfach mal in einer der größten humanitären als auch wirtschaftlichen Krise an den Nagel gehängt – mit der Mission, den Einkauf von Manufacturing Firmen zu revolutionieren. Uns motiviert es gerade, den Einkäufern ein Tool an die Hand zu geben, welches den Spaß an der Arbeit wieder zurück bringt.